Mutual Care vor Self-Care? – Ist gegenseitige Fürsorge wichtiger als Selbstfürsorge?

Eine neue Studie deutet genau darauf hin: Studie bei SAGE Journals

Selbstfürsorge

Resilienz aus belastenden Situationen entwickeln

Wie können Teams in belastenden Situationen ihre Resilienz stärken?
Diese Frage steht im Zentrum einer aktuellen Untersuchung eines interdisziplinären Palliativteams in einem deutschen Krankenhaus.

Die Forschenden konzentrieren sich dabei nicht auf individuelle, sondern auf zwischenmenschliche Prozesse in Teams – insbesondere auf den relationalen Mechanismus der Fürsorge, des Caring (in Abgrenzung zur Selbstfürsorge). Das zentrale Ziel: Verstehen, wie Teams Rückschläge bewältigen und gestärkt daraus hervorgehen können.

Unerwünschte Ereignisse werden als Verlusterfahrung erlebt

Die Studie zeigt: Belastende Ereignisse werden im Team als Verlust erlebt – mit zwei wesentlichen Folgen:

1. Verlust sozialer Sicherheit
Unsicherheit im Umgang miteinander, Spannungen, Rückzug
Teammitglied A kann anders mit diesem Ereignis umgehen, als es Teammitglied B tut. Dadurch kann Unsicherheit entstehen, wie sich Teammitglied B nun zu Teammitglied A verhalten sollte. Diese Unsicherheit kann für Spannungen sorgen („Soll ich mich jetzt so wie das letzte Mal oder lieber anders verhalten?“). Eine Strategie, solche Situationen zu lösen, ist es, sie zu vermeiden. Gegenseitiger Rückzug könnte die Folge sein.

2. Verlust von Handlungssicherheit
Fehlende Routinen, Unsicherheit über das richtige Verhalten
Beispiel: Nach dem Ereignis wird deutlich: „Für solche Situationen habe ich noch keine erprobte Strategie.“ Dies verunsichert Mitarbeitende. Die Konsequenz: lieber gar nicht handeln, aus Angst, etwas falsch zu machen.

Beide Verluste beeinträchtigen die Atmosphäre im Team. Interessanterweise begegnete das untersuchte Palliativ-Team dieser Dynamik nicht primär mit Selbstfürsorge, sondern mit gegenseitiger Fürsorge – Mutual Care.

Caring – der Schlüsselmechanismus

Das Team entwickelte vier Formen der Fürsorge, die soziale Verbundenheit stärken und Handlungsfähigkeit wiederherstellen:

1. Verstehen – Empathie und Perspektivübernahme
Sich Zeit nehmen, die emotionalen Reaktionen der Kolleg:innen wahrzunehmen und deren Perspektive anzuerkennen – auch wenn sie sich von der eigenen unterscheidet.

2. Dasein – emotionale Präsenz und gemeinsames Erleben
Eigene Emotionen zulassen und im Team teilen. Emotionale Offenheit als verbindendes Element.

3. Etwas für andere tun – praktische Unterstützung leisten
Wer kann kurzfristig welche Aufgabe übernehmen? Wer benötigt wo Unterstützung? Was ist jetzt wirklich dringend – und was kann warten?

4. Ermöglichen – gemeinsame Lösungen und Strukturen schaffen
Was lernen wir aus der Situation für die Zukunft? Wie gehen wir mittelfristig mit dem Erlebten um? Wo brauchen wir Training, Austausch oder zusätzliche Unterstützung? Und welche Unterstützungssysteme und -formen sollten wir vorhalten?

Diese vier Dimensionen trugen im Team dazu bei, soziale Beziehungen zu stärken und die kollektive Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.

Zwei zentrale Ressourcen entstehen

Aus gegenseitiger Fürsorge/Caring entstehen zwei zentrale Ressourcen:

  • Zusammenhalt (Togetherness):
    Ein intensives Erleben von Zugehörigkeit und Verbundenheit im Team. Im gegenseitigen Caring erleben die Teammitglieder die Teamzugehörigkeit intensiv und stärken die individuelle Verbundenheit untereinander.
  • Kollektive Handlungsfähigkeit (Collective Agency):
    Das Vertrauen, Herausforderungen gemeinsam bewältigen zu können – durch konkrete Hilfe und strategisches Vorausdenken.
    Durch die konkrete praktische Unterstützung und das strategische Vorausplanen für ähnlich gelagerter Situationen erleben die Teammitglieder auf vertrauensvolle Art und Weise ihr individuelle, gegenseitige und gemeinsame Handlungsfähigkeit.

Die Wirkung von Caring: Mehr als nur Resilienz

Damit trägt gegenseitiges Caring mittelfristig dazu bei, dass Teams künftige Krisen besser bewältigen. Und es entfaltet mittelfristig zwei positive Effekte:

  • Pufferwirkung:
    Belastende Ereignisse verlieren an Schärfe – durch gestärkte Beziehungen und klarere Handlungsoptionen.
  • Wachstumseffekt:
    Das Team erkennt, dass es neue Ressourcen schneller entwickeln kann als früher – und handelt entsprechend.

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