„Das nehme ich persönlich!“ – Wenn Zuhören zur Herausforderung wird

Eine typische Situation: Es wird über einen kritischen Vorfall gesprochen. Person A schildert, wie es zur Situation kam und was sie zu ihrem Handeln bewegt hat. Sie räumt ein, mit ihrem Verhalten über das Ziel hinausgeschossen zu sein – und betont, dass es ihr ausschließlich um die Sache ging, nicht um Person B. Die zuhörende Person B wirkt ruhig – zumindest äußerlich. Dann reagiert sie mit fester Stimme, deutlicher Betonung und hörbarem Nachdruck: „Das mag alles so gewesen sein. Aber nein, das nehme ich persönlich!“

Nach dieser Entgegnung herrscht erst einmal Schweigen in der Runde. Person A schaut hoffnungsvoll zu den anwesenden Kolleginnen und Kollegen, ob diese nicht etwas ergänzen oder entgegen möchten. Schließlich hat Person A in ihrer Beschreibung alles aus ihrer Sicht zur Situation zu Sagende gesagt.
Der von Person B gesagte Satz „Das nehme ich persönlich“ machte für alle am Gespräch Beteiligten deutlich, das anscheinend im Moment keine Lösung für die konflikthafte Situation zu finden zu sein scheint.

„Das nehme ich persönlich“ – als Zuhörende*r entscheide ich über die Bedeutung des Gehörten aktiv mit

Mich hat dieser Satz angeregt, ihm weiter nachzugehen. Wie kommt es, dass eine Schilderung, in der eine gemeinsam erlebte Situation beschrieben wird, doch so verletzend auf die zuhörende Person wirken kann? Was passiert da beim Zuhören?

Die Antwort wird m. E. in dem Satz „Das nehme ich persönlich“ mit dem Stichwort „nehmen“ gegeben. Offensichtlich findet hier eine klare, wenn auch häufig nicht sehr bewusste, Handlung der zuhörenden Person statt: Sie nimmt das Gehörte und wendet es auf sich selbst als Person an. Die Aussage von Person A – dass es ihr um die Sache ging – tritt dabei in den Hintergrund.

Während des Zuhörens bereits ein Urteil bilden

Was in dieser Situation offensichtlich noch stärker hätte stattfinden können, ist das Zuhören, das zwischen ‚eine Information aufnehmen, sie verarbeiten, bewerten und darauf reagieren‘ unterscheidet. Das gelingt nur, wenn man sich für jede Phase Zeit nimmt – und Pausen zulässt, gerade wenn das Gehörte belastend ist.

‚Zuhören‘ als bewusstes Aufnehmen, Hinhören, Wirken lassen und verzögert reagieren

Für mich sind beim Thema Zuhören die Versöhnungskreise in Ruanda beeindruckend. Diese Versöhnungskreise sind ein bemerkenswertes Beispiel für gesellschaftliche Heilung nach dem Völkermord von 1994, bei dem etwa 800.000 Menschen – überwiegend Tutsi und gemäßigte Hutu – ermordet wurden.

Nach dem Genozid stand Ruanda vor der Herausforderung, wie Täter und Opfer wieder in einer gemeinsamen Gesellschaft leben könnten. Die Regierung und zivilgesellschaftliche Organisationen entwickelten verschiedene Ansätze zur Wahrheitsfindung, Gerechtigkeit und Versöhnung. Ein Weg dieser Versöhnungsarbeit waren die Versöhnungsdörfer („Reconciliation Villages“). Ziel dieser Dörfer war es, Täter und Opfer in einem gemeinsamen Lebensraum zusammenzubringen und durch konkrete Maßnahmen Versöhnung zu ermöglichen. In diesen Dörfern bauten die Täter Häuser für Hinterbliebene, danach halfen die Hinterbliebenen den Tätern beim Bau ihrer eigenen Häuser. Alle gemeinsam nahmen an Einzel- und Gruppengesprächen teil, um sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und es wurden landwirtschaftliche und handwerkliche Kooperativen gegründet, die den Bewohnern ein Einkommen ermöglichen.

Die Gespräche in den Versöhnungskreisen in Ruanda wurden sehr behutsam und strukturiert gestaltet, um Vertrauen zwischen Überlebenden und Tätern des Völkermords aufzubauen. Es gab verschiedene Formate, die sich in ihrer Tiefe und Methodik unterschieden. Als ein Beispiel seien die „Groupe de rapprochement“ – die Annäherungsgruppen genannt.

Bei diesen Annäherungsgruppen saßen sich Überlebende und Täter direkt gegenüber. Sie fanden oft unter freiem Himmel statt, in einem Kreis, um Gleichwertigkeit zu symbolisieren. Die Gespräche begannen mit Begrüßungen und Danksagungen für den Mut zur Teilnahme. Wichtig dabei war, dass viel Raum für persönliche Geschichten gegeben wurde – sowohl für Opfer als auch für Täter. Mit dem Ziel, Verständnis (im Sinne ‚ich kann es nachvollziehen‘), Empathie und Vergebung zu fördern.

Über Konfliktmoderation Raum für Verständnis, Empathie und Vergebung schaffen und öffnen

Was mich besonders fasziniert: Mit welchem Engagement dieser Raum für Verständnis, Empathie und Vergebung gepflegt wurde. Und ich frage mich: Was wäre, wenn wir auch in Organisationen solche Räume öffnen würden – gerade in kritischen Situationen? Die Methoden dazu kennen wir: Check-Ins, gute Zielklärung, professionelle Moderation, ausreichend Zeit und Raum, Balance zwischen Verstand und Gefühl, klare Vereinbarungen, Feedback und Check-outs.

Was braucht es, damit diese Werkzeuge auch ohne explizite Konfliktmoderation regelmäßig genutzt werden? Ich freue mich auf Ihre Erfahrungen in den Kommentaren!

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