Rundumversorgung, mangelnde Wertschätzung und fehlende Orientierung
Grünewald startet mit unserem guten Versorgungsniveau, an das wir uns längst gewöhnt haben. Beschreibt die vielfach verbreitete mangelnde Wertschöpfung. Z.B. für die Dinge, die im Kontext der Wende an Ungerechtigkeiten stattgefunden haben, für bestimmte Berufsgruppen oder die Arbeit an sich. Er schließt dieses erste Kapitel mit der Beschreibung des Orientierungsverlustes. Teils aufgrund von Effekten wie der Filterblase, teils aufgrund von schlichter Borniertheit.
Grünewald über die Digitalisierung und digitalen Größenwahn
Die Digitalisierung entgleitet zum digitalen Größenwahn. Die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Information wird mit tatsächlicher Begegnung verwechselt.
Seine These: die digitale Allmacht kann zur digitalen Ohnmacht führen. Und anhand der Phänomene wie Perfektionierungszwang, Kontrollwahn sowie Selbstversklavung illustriert er dies eindrücklich.
Persönlichkeit entscheidet
Unter der Überschrift „Der Alltag und der Preis der Allmacht“ geht der Autor auf die Rolle der Geschlechtlichkeit ein. Zum einen „Der gezähmte Mann – Unterdrückte Wut und geheime Sehnsüchte“, zum anderen „Mütter, die überlasteten Alleskönnerinnen – Allmacht bis zur Selbstaufgabe“. Abgerundet wird dieser Blick auf die Geschlechter durch die Rolle der Kinder und Jugendlichen „Kindheit und Jugend – Der Fluch des Paradieses“.
Klar vertritt der Autor v.a. eine tiefenpsychologische Perspektive, hier könnte ich mir mehr Vielfalt vorstellen. Auf der anderen Seite macht seine pointierte Beschreibung die Aussagen gut nachvollziehbar und regt im Widerspruch zum Weiterdenken an. Natürlich könnte man diesen Stil auch auf das Konto eines übersteigerten Selbstbewusstseins buchen – mir als Leser gefällt er durch seine Leichtigkeit.
Blick in die Zukunft lässt auch hoffen
Der Blick in die Zukunft lässt, trotz aller Bedrohungen wie „Zivilisationsverlust und Rückkehr der Besessenheit“ hoffen. Grünewald lenkt den Blick in seinem letzten Kapitel auf das schöpferische Erwachen. Im Kampf der Prinzipien plädiert er für die Intensität der Auseinandersetzung, für den Blick auf den Menschen als ein „behindertes Kunstwerk“, als Anreiz für die menschliche Schöpferkraft und Weiterentwicklung. Für ein intensives Bemühen um das Verständnis der Wirklichkeit, in der auch die Medien eine wichtige Rolle spielen, z.B. durch genaue Analyse und Perspektivwechsel. Klar ist für den Autor, dass es ein Entwicklungsrisiko gibt. Davor sind wir nicht gefeit. Sein Ratschlag: Gesunder Optimismus sowie aktive Auseinandersetzung.
Sein Schlusssatz: „Geistiger Austausch, die Reibung mit anderen Kulturen, der Perspektivwechsel sind erwachsene gesellschaftliche Produktivkräfte, die dafür sorgen, dass eine Nation nicht in Stagnation gerät, sondern lebendig und schöpferisch bleibt“ (S. 309). Dem bleibt nichts hinzuzufügen.