Geschwisterlichkeit: Papst Franziskus zitiert mit dem Titel „Fratelli tutti“ Franz von Assisi in dessen Art, so alle Schwestern und Brüder anzureden und ihnen eine Lebensweise darzulegen, die dem Evangelium entspricht. Franziskus geht es mit dieser Enzyklika um die Entfaltung einer Art in Liebe zu leben, die alle politischen und räumlichen Grenzen übersteigt. Liebe ist nicht davon abhängig, ob mein Gegenüber direkt vor mir sitzt. Im Sinne von Franz von Assisi geht es um Liebe, die denjenigen, der von mir weit entfernt ist, genauso liebt und achtet, wie diejenige, mit der ich zusammen bin (Geschwisterlichkeit). Es geht damit um eine Art das Leben zu gestalten (zu Lieben), die für unsere globale und vernetzte Welt geradezu prädestiniert ist.
Geschwisterliche Liebe – Grundvoraussetzung für das Gelingen unseres globalen Wohlergehens in einer vernetzten Welt
Das Anliegen von Papst Franziskus ist es, in Fortsetzung von „Laudato si“, diese Grundidee der grenzenlosen Liebe weiter zu entfalten. Spannend ist dabei, dass er sich beim Verfassen der Enzyklika vom Großimam Ahmad Al-Tayyeb hat anregen lassen. Dabei hat er nicht das Ziel, die geschwisterliche Liebe umfassend darzustellen, sondern einen „demütigen Beitrag zum Nachdenken“ vorzulegen.
Nachbarn sind noch keine Geschwister
Das globale Dorf ist durch das Internet Realität geworden. Uns ist bewusst, dass wir mit allen Menschen dadurch zu Nachbarn geworden sind. Wohlstand und Notstand wird weltweit transparent. Doch wie werden wir von Nachbarn zu Geschwistern? Mit seiner Reflexion über Kolonialismus, Konflikte und Angst, Globalisierung und Pandemien und die Art und Weise, wie sich Kommunikation mithilfe der Digitalisierung verändert hat, leistet Franziskus einen Beitrag zur Sensibilisierung auf dieses Phänomen. Mit dem Beispiel vom barmherzigen Samariter lenkt er den Blick auf Handlungsoptionen, die wir alle für diese Situationen besitzen. Doch allzu häufig nicht nutzen, vielleicht weil es zu aufwändig sein mag oder wir nicht den Mut haben, entsprechend einzustehen.
Religion muss im Dienst der Geschwisterlichkeit stehen
Auch Religion hat ihren Beitrag zum Dienst an der Geschwisterlichkeit zu leisten. Religion hat hierbei die Aufgabe, Gott in unseren Gesellschaften gegenwärtig zu machen. Daraus ergibt sich für die Kirche die Aufgabe, „sich in den Dienst der Förderung des Menschen und der weltweiten Geschwisterlichkeit“ (S. 172) zu stellen. Sie muss ein Haus mit offenen Türen sein.
Anregungen – keine Lösungen
Auch wenn die Anregungen von Franziskus manchmal als reiner Appell missverstanden werden können. Ihm geht es ausschließlich um die Reflexion der persönlichen Situation und darum, zum adäquaten Handeln im Bewusstsein des globalen Kontextes von geschwisterlicher Liebe anzuregen. Die Gliederung und Durchnummerierung in recht knappe Absätze macht die Enzyklika zum Lesen nicht gerade leichtgängig. Vielleicht sollte man nach jedem Absatz einfach immer wieder eine kleine Reflexionspause einlegen. Dann hätte Franziskus ja sein Ziel erreicht 😊.