Zusammenführen, was seit mehr als 700 Jahren auseinanderdriftet
Johannes Hoff, Professor für Dogmatik am Institut für Systematische Theologie in Innsbruck, nimmt sich viel vor. Nach seiner Rückkehr aus dem englischen Sprachraum (er war vorab an den Universitäten London, Wales, Cambridge und Durham aktiv) in den deutsch-österreichischen (nach dem Studium in Tübingen) möchte er mit diesem Buch aufzeigen, warum „die Herausforderungen der Gegenwart eine radikale Revision der theologisch-metaphysischen Hintergrundannahmen des modernen Humanismus und der damit verbundenen Konzepte wissenschaftlicher Rationalität und subjektiver Autonomie erzwingen“ (S. 8) (1. Kapitel). Neugierig gemacht hat mich Hoffs Ankündigung, auf die spirituellen Praktiken und Selbsttechnologien zu fokussieren, „die die denkerische Grundhaltung der Tradition immerwährender Philosophie prägten und sie damit, aus der Retrospektive betrachtet, als eine protophänomenologische Bewegung erscheinen lassen“ (S. 9.) (2. Kapitel). Seine Zielperspektive (3. Kapitel): „Es wird (…) darum gehen, das Erbe des östlichen und westlichen Christentums des ersten Jahrtausends unter Vorzeichen wiederzuentdecken, die die Scheinprobleme spätmittelalterlicher Scotisten wie Immanuel Kant, Friedrich Schelling, Theodor Adorno, Jacques Lacan oder Jürgen Habermas hinter sich lässt.“
Mich hat das neugierig gemacht, auch wenn mich die Verortung von Theodor Adorno, Jacques Lacan und Jürgen Habermas im Spätmittelalter stutzig macht.
Transhumanismus als Symptom symbolischer Verelendung und Ablenkungsphänomen
Die knapp 300 Seiten des Teil 1, der Transhumanismus letztendlich als Symptom symbolischer Verelendung deutet, stellen einen ausführlichen Feldgang durch transhumanistisches Denken dar. Zurecht vermittelt Hoff Skepsis bezüglich der Grundannahme des Transhumanisten, dass die Verbesserung der körperlichen, intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten des Menschen uns in der Lage versetzen könnte, einige Einschränkungen zu überwinden und ein höheres Niveau der menschlichen Existenz zu erreichen. Zwar werden umfangreiche Hoffnungen in künstliche Intelligenz, Nanotechnologie, Biotechnologie, genetische Veränderung und Robotik gesetzt, doch laut Hoff lenkt der Transhumanismus „von den eigentlichen Herausforderungen der Gegenwart ab“ (S. 299). Seine Konsequenz: „Die digitale Transformation konfrontiert uns mit der Herausforderung, in allen Bereichen unseres privaten und öffentlichen Lebens Tugenden zu kultivieren, die unserem natürlichen Verlangen nach einem guten Leben Rechnung tragen“ (S. 318).
Im Menschen erwacht ein Sinn für das Heilige
Seine Ableitung aus der ausführlichen Darstellung des Transhumanismus: „Der Mensch ist nämlich vor allen anthropologischen Definitionsversuchen zunächst einmal das: ein Bild der Namen, Artefakte und Orte, die in ihm einen Sinn für das Heilige erwachen lassen“ (S. 318). Folgerichtig ist der Teil 2 des Buches auch dem Thema „Minimal Religion: Spiritualität in einer post-konfessionellen Welt“ überschrieben.
Hier kommt Hoff zur Grundthese dieses Buchs: „Die Theologie der klassischen Moderne hat im Gefolge von Denkern wie Friedrich Schleiermacher und Karl Rahner in der Natur des Menschen diejenige Provinz aufzuspüren versucht, die uns für das Heilige empfänglich werden lässt. Doch die digitale Transformation hat diesen Suchpfad verwüstet“ (S. 543). Das Fazit: „Ohne die bewusste Kultivierung fester ontischer Charaktere absoluter Heiligkeit ist der Mensch nicht zu verteidigen“ (S. 543). Darin sieht Hoff das entscheidende theologisch-spirituelle Erbe des ersten christlichen Jahrtausends.
Anthropologie der digitalen Transformation
Theologische Anthropologie deutet den Menschen aus christlich-theologischer Sicht. Spannend wäre jetzt, nach der Deutung, die Praxis. Was hilft mir dabei, das Heilige in mir zu entdecken? Oder um mit Hoff zu sprechen, den ontischen Charakter absoluter Heiligkeit zu kultivieren? Dann wäre die umfangreiche Beschreibung ein lohnender Auftakt. Meine Bewertung des Buches: 4 von 5 Sternen.