Eigentlich wundert mich diese Frage nur noch – obwohl wir sie in unseren Gesprächen in Betrieben immer wieder gestellt bekommen. Richtig formuliert sollte die Frage lauten: „Warum wird auf den offensichtlichen Zusammenhang zwischen Führung und Gesundheit in den Betrieben immer noch so zögerlich reagiert?“
Und was nicht erst durch den Burn-out von Ralf Rangnick (bis September 2011 Bundesligatrainer bei FC Schalke 04) bekannt wurde: Insbesondere die psychischen Erkrankungen steigen geradezu rasant an!
D.h. das Thema Krankheit, der Umgang mit Krankheit und das Selbstverständnis, dass sich der Alltag irgendwo auf einem Kontinuum zwischen krank sein und gesund sein abspielt, wird im Unternehmensalltag und damit auch in der Führungsarbeit zunehmend wichtiger und auf die Führungskräfte kommt zunehmend die Anforderung zu, nicht nur Mitarbeiter/-innen mit physischen, sondern auch mit psychischen Erkrankungen führen zu müssen. Auch für junge, qualifizierte Mitarbeiter nimmt Gesundheit einen immer höheren Stellenwert ein. So ist in Sachen Arbeitgeberattraktivität das Thema „Unternehmenskultur im Umgang mit Gesundheit und Krankheit“ für Führungskräfte unvermeidbar. Fachdiskussionen zeigen es deutlich: Der Zusammenhang zwischen Gesundheit/Krankheit der Mitarbeiter/-innen und Führung wird immer offensichtlicher. Der aktuelle Fehlzeiten-Report 2011, der vom wissenschaftlichen Institut der AOK und der Universität Bielefeld herausgegeben wird, erscheint dieses Jahr mit dem Untertitel „Führung und Gesundheit“. Hier einige Kernaussagen aus dieser Veröffentlichung:
- Führungskräfte, die sich im Umgang mit sich selbst gesundheitsfördernd verhalten, haben einen positiven Einfluss auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. D.h. Führungskräfte beeinflussen mit ihrer Einstellung und ihrem Handeln das Verhalten ihrer Mitarbeiter positiv und können somit die Gesundheit ihrer Beschäftigten aktiv fördern.
- Es bestehen positive Zusammenhänge zwischen der freundlichen Zuwendung und Respektierung durch den Vorgesetzten und der Arbeitsfähigkeit; negatives Erleben der Beziehung zum Vorgesetzten wirkt sich ungünstig auf Leistungs- und Gesundheitsparameter aus.
- Die Berücksichtigung der Motive des Mitarbeiters (Bindung, Leistung, Kontrolle und Selbstwertschutz) wirkt sich positiv aus. Die Führungskraft als (Mit-)Gestalter der Arbeitsaufgaben und Arbeitsbedingungen steht im Fokus.
- Ergo: Die Führungskraft hat damit einen erheblichen, individuellen und flexibel gestaltbaren Spielraum für eine konstruktive, wertschätzende und gesundheitsförderliche Gestaltung der Beziehung zum Mitarbeiter.
Noch im Ohr habe ich den Wunsch eines Mitarbeiters in der Versandabteilung eines Produktionsbetriebes an der Laderampe: „Wenn mein Schichtmeister wenigstens alle zwei Wochen fünf Minuten mit mir sprechen würde. Einfach Smalltalk, wie es mir gerade geht oder ähnliches“. Oder die Mitarbeiterin in einem Support-Center einer Versicherung: „Wenn meine Führungskraft sich wenigstens gelegentlich einmal anhören würde, mit welcher Art von Vorwürfen wir uns täglich auseinandersetzen müssen. Doch ihn interessieren nur Wartezeiten von Anrufern, Weiterleitungsquote an den second-level Support u.ä.“ Hinter diesen Aussagen der Mitarbeiter steht einfach nur der Wunsch, die betriebliche Situation und das aktuelle Belastungsgefüge, dem sie ausgesetzt sind, verstehen zu können. Aaron Antonovsky mit seinem Ansatz der Salutogenese würde sagen, die Stimmigkeit bzw. Kongruenz der Situation wahrnehmen zu können, entscheidet darüber, wie gut ich das Belastungsgefüge, in dem ich mich befinde, toleriere. Und Antonovsky gibt auch gleich die Antwort, welche drei Elemente dazu unabdingbar sind:
- Verstehbarkeit
- Handhabbarkeit
- Sinnhaftigkeit
D.h., wenn
- ich als Mitarbeiter verstehe, was von mir genau in der belastenden Situation verlangt wird,
- ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen und ich auch über die notwendigen Skills dazu verfüge und
- ich über die Bedeutsamkeit der an mich gestellten Verhaltenserwartung im Bilde bin,
dann habe ich eine relativ große Chance, die Belastungssituation erfolgreich und gesund zu bewältigen. Letztlich lässt sich das Resümee ziehen: es geht um eine klare und gut gelebte Unternehmenskultur – um Wertschätzangstkultur! Die Effekte und Wirkungen gut gelebter (Führungs-) Praxis in Unternehmen sind offensichtlich. Drei Punkte erleben wir in unserer Beratungspraxis immer wieder als wertvoll:
1.Der Kopf: Mitarbeiter/-innen und Führungskräfte wissen, woran sie miteinander sind
Wie häufig erleben wir Spekulationen in der Mitarbeiterschaft über mögliche Einstellungen und Ansichten der Führungskräfte bezüglich bestimmter Sachverhalte (z.B. Exaktheit der Spesenabrechnungen und des Umganges mit Pausen innerhalb der Arbeitszeit). Ist dies im Rahmen der Unternehmenskultur geklärt und wird es eindeutig gelebt, dann entfallen diese Spekulationen, Unsicherheiten und „verführerische“ Gelegenheiten. Alle Beteiligten brauchen überhaupt nicht erst im Konjunktiv zu überlegen („was wäre, wenn…“), sondern sind sich sicher, wie es gemeint und erwünscht ist – so wie sie es tagtäglich erleben.
2.Die Emotionen: Die Mitarbeiter/-innen wissen, womit sie sich identifizieren sollen
Mitarbeiter haben vor, sich mit den Unternehmenszielen identifizieren zu können. Und zu dieser Identifikation gehört nicht nur das Ziel an sich, sondern auch die Art und Weise – der Umgangston und die Unternehmenskultur -, mit der die Ziele erreicht werden sollen. Der häufig anzutreffenden emotionalen Einstellung von Mitarbeitern ungefähr in der Art: „Im Prinzip finde ich das Ziel gut; aber zu dem Stil, wie es erreicht werden soll, da habe ich noch meine Zweifel/bin ich mir nicht sicher“, dieser Einstellung wird durch eindeutig gelebte Unternehmenskultur kein weiterer Raum mehr gegeben. Es kommt immer wieder vor: Fehler passieren und diese Fehler werden von den Mitarbeitern/-innen als Beleg dafür genommen werden, dass das Thema Unternehmenskultur von den Führungskräften doch nicht voll gelebt wird – aber damit sind wir schon mitten in der Diskussion gelebter Unternehmenskultur, die sich häufig am Thema „Umgang mit Fehlern“ entzündet.
3. Das Verhalten: Mitarbeiter/-innen wollen integriert sein, mitgenommen werden, mitdenken können und die Wege zur Zielerreichung mitentwickeln
Wirft man einen Blick in Studien zur Motivationspsychologie und Identifikation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit dem Unternehmen, dann zieht sich ein roter Faden durch die Ergebnisse: Den eigenen Beitrag am Ergebnis zu realisieren, ist ein ganz wesentlicher Faktor für das Entstehen und Aufrechterhalten von intrinsischer Motivation. Unternehmenskulturen, die dies berücksichtigen, und Führungskräfte, die sich für Mitarbeiter berechenbar machen, leisten dazu einen entscheidenden Beitrag. Oder andersherum gesagt: wenn für die Mitarbeiter/-innen nicht klar ist, wonach sie sich ausrichten sollen bzw. was sie zum Unternehmensergebnis beitragen können, ja dann sind genau das die Rahmenbedingungen, die das Entstehen von Phänomenen wie innerer Kündigung fördern. Doch Achtung: das Thema Unternehmenskultur anzupacken hat in einem ersten Schritt recht wenig damit zu tun, in geheimen Zirkeln Leitsätze zu formulieren, diese in Kick-Off Workshops auszurollen und mit Commitment-Acts die Mitarbeiterschaft und Führungsmannschaft darauf einzuschwören. Nein, zuerst einmal sollte man wissen, wo sich das eigene Unternehmen beim Thema Unternehmenskultur befindet. Und erst danach überlegen, wie, in welchem Zeitraum, mit welcher Intensität die Führungskräfte bzw. die Unternehmensleitung die Stärkung, Stabilisierung oder Veränderung der Unternehmenskultur angehen will.
Zu der Frage: Wo stehen wir eigentlich bezüglich unserer Unternehmenskultur habe ich einen interessanten Ansatz in der Schweiz kennengelernt, den ich Ihnen vorstellen will.
Dazu ein kleines Interview mit Hans R. Hässig und Roland F. Stoff, die den Ansatz Unternehmenskultur-Controlling® entwickelt haben.
Hans, wie seid ihr überhaupt auf die Idee gekommen, das Thema „Unternehmenskultur-Controlling“ anzupacken?
Als Ausgangslage ist dabei zu berücksichtigen, dass Roland und ich langjährige Erfahrung als Führungskräfte auf Geschäftsleitungsebene in KMU’s, auf Konzernebene im In- und Ausland, in der Industrie, der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheitswesen mitbringen und uns ein gemeinsames Steckenpferd, die Unternehmenskultur, zusammengebracht hat. Wir gingen von der Frage aus, warum gewisse Firmen erfolgreich sind und andere nicht und was das Wohlbefinden am Arbeitsplatz beeinflusst. Wir schauten uns gleichzeitig auf dem Markt nach dem bestehenden Angebot an Beratungen um und merkten, dass sich die meisten Berater auf die harten Faktoren konzentrieren. Der Mensch – ein weicher Faktor – ist erst betroffen, wenn es um die Entlassungen geht. Wir machen das anders, wir schauen von Anfang an auf die weichen Faktoren. Wir betrachten das Beziehungsverhalten der Mitarbeitenden untereinander und zur Firma, die Firmenkultur und deren Werte. Wir machen sichtbar, was sonst unausgesprochen bleibt. Zu diesem Zweck haben wir eine Methode entwickelt, die gelebte Werte einer Firma nachvollziehbar aufzeigt.
Roland, was waren die ersten Reaktionen, als ihr das Thema Unternehmenskultur-Controlling in Management-Teams vorgestellt habt?
Die Führungsmannschaft war immer sehr aufmerksam und interessiert. Es war spürbar, dass für sie dieses Thema wichtig ist, aber auch schwer zu greifen, zu beschreiben und einzuordnen. Mit der Aussicht, dass ihre Unternehmenskultur sichtbar gemacht werden könne, und zwar in ihrer Ausprägung und Intensität, war die Neugier groß. Befürchtet wurde, dass wir mit Workshops und langen Interviews das Tagesgeschäft stören würden. Unser minimalinvasiver Ansatz hat sie jedoch überzeugt. Große Erwartungen wurden in den Bereich gesetzt, wie der Betrieb das Leitbild lebt und wo noch nicht.
Roland, und was waren die Punkte, die die Management-Teams überzeugt haben, Unternehmenskultur als Thema anzupacken?
Es sind eigentlich immer die gleichen drei Beweggründe:
- Wer sind wir? Die visuelle Darstellung ihrer Unternehmenskultur, gestützt auf gelebte Beispiele (Rituale und Artefakte) und illustriert mit atmosphärischen Fotografien in und um den Betrieb.
- Was können wir? Das Herausschälen von Potenzialen und Disharmonien aufgrund der eigenen Wertehaltung.
- Wo verdienen wir? Wo verlieren wir? Das Aufzeigen der monetären Einflüsse der Unternehmenskultur in Bezug auf Bekenntnisse, Prozesse, Dokumente und Kundenverhalten.
Ergänzend dazu war es dem Management-Team aber auch wichtig, keine Entblößungen erleben zu müssen. Ein Vertrauensverhältnis zu uns war ihnen deshalb wichtig, sonst wären sie das Thema Unternehmenskultur nicht angegangen.
Hans, wahrscheinlich empfiehlt es sich nicht für alle Betriebe zu jedem Zeitpunkt das Thema Unternehmenskultur aufzugreifen. Was sind Deine Tipps für Betriebe, die das Thema anpacken wollen?
Wir haben unsere Methode in verschiedensten Branchen angewendet. Dabei haben weder die wirtschaftlichen Umstände noch der innerbetriebliche Zustand eine Rolle gespielt. Es braucht lediglich die Bereitschaft und ein wenig Mut, trotz anfänglichen Ängsten, sich mit dem Thema (auseinanderzusetzen) wollen. Wenn der Geschäftsführer dann mit der Geschäftsleitung gewillt ist, sich auf eine Integritätsprüfung einzulassen, um auf ihre eigenen, echten und tatsächlich gelebten Werte zu stoßen, ist der erste große Schritt getan.
Hans, und wann sollte ein Betrieb lieber die Finger vom Thema Unternehmenskultur und Controlling der Unternehmenskultur lassen?
Da gibt es eine klare Voraussetzung. Wenn der CEO und/oder Aufsichtsrat nicht bereit ist, die eigenen Werte auf den Tisch zu legen und dafür einzustehen, also Verantwortung zu übernehmen, sollte der Betrieb besser die Finger davon lassen.