Das Mitarbeitergespräch – jährliches Ritual oder wirklich Nutzen stiftend?
Mitarbeitergespräche positiv führen: Konstruktiver kommunizieren als Führungskraft ― auch in schwierigen Situationen von Marcus Schweighart und Christian Thiele
Das jährliche Ritual des Mitarbeiterjahresgespräches ist in vielen Betrieben und Organisationen vertraute Praxis. Für die einen ist es dabei wichtige Orientierung und Entwicklungsraum, für die anderen steht eher das Motto „Same procedure as every year?!…“ auf der Agenda. Im zweiten Fall häufig mit dem Ergebnis, dass Protokollbögen des Jahresgespräches an die Personalabteilung zu Dokumentationszwecken geliefert werden, aber nicht wirklich Entwicklung passiert. Für alle, die Gespräche mit Mitarbeiter*innen als gemeinsamen Entwicklungsraum sehen, haben Marcus Schweighart und Christian Thiele als erfahrene Berater dieses Buch geschrieben.
Psychologische Sicherheit als Handlungsrahmen
Die Autoren empfehlen die Erkenntnisse des Konzepts der psychologischen Sicherheit als Handlungsrahmen für das Gespräch mit Mitarbeiter*innen. Was ist damit gemeint? Unter psychologischer Sicherheit skizzieren sie in Anlehnung an Timothy Clark vier Stufen der Sicherheit. Zuerst die Stufe der Zugehörigkeit, dass ich Teil des Teams bin. Als zweites die Stufe des Lernenden, dass ich mich entwickeln und Fehler machen darf. Die dritte Stufe umfasst die Stufe des Beitragenden, hier kann ich mich mit meinen Stärken zeigen. Und schließlich die vierte Stufe des Infrage-Stellenden, auf der ich auch Kritik üben darf, ohne soziale Sanktionen befürchten zu müssen.
Das Jahresgespräch positiv vorbereiten
Aufbauend auf dem Konzept der psychologischen Sicherheit, widmen sich die Autoren den verschiedenen (über zwanzig!) Handlungsanlässen, bei denen ich mit Mitarbeiter*innen ins Gespräch kommen kann. Sie steigen mit dem jährlichen Mitarbeitergespräch ein. Eine sehr schöne Anregung hier: Sowohl wertschätzend mit meinem Gegenüber zu kommunizieren – eigentlich selbstverständlich -, als auch direkt danach zu fragen, wie er oder sie Wertschätzung am ehesten empfangen und empfinden kann. Auf diesem Wissen aufbauend, kann ich als Führungskraft mein Kommunikationsverhalten darauf einstellen.
Die Umerzählungsfrage
Stehen im Gespräch v.a. momentane Belastungen im Vordergrund, deren Sinnhaftigkeit nur schwer erkannt werden kann, dann empfehlen die Autoren die Umerzählungsfrage. Nach dem Muster „Wenn wir diese Herausforderung (…) gemeistert haben werden, wofür könnte das einmal gut gewesen sein?“. Die Umerzählungsfrage ermöglicht den Blick von der Zukunft her auf das Jetzt. Somit kann sie einen Beitrag dazu leisten, die häufig festgefahrene Wahrnehmung in der Problemsituation zu weiten. Natürlich unter der Bedingung, dass das Jetzt nicht als existenzbedrohend wahrgenommen wird. Unter hohem Druck kann ich mir nicht vorstellen, dass die Bereitschaft besteht der Umerzählungsfrage wirklich nachzugehen.
Innerer Dialog vor äußerem Dialog
Unter der Überschrift des siebten Kapitels konkretisieren die Autoren ihr Anliegen: Persönlichkeitsentwicklung und Klarheit durch Selbstklärung stärken! Ihre These: der Blick nach innen lohnt sich! Sei es, dass ich aufgrund der besseren Vorbereitung als Führungskraft klarer in das Gespräch mit meiner Mitarbeiter*in gehe und damit effizienter bin. Sei es, dass ich aufgrund meiner inneren Klarheit präsenter bin und einen echten Gesprächskontakt zur Mitarbeiter*in ermöglichen kann. Meine Erfahrung: Häufig legen Führungskräfte zu sehr den Fokus auf die Frage, wie sie etwas am besten formulieren sollten und vergessen dabei den davor liegenden Schritt, wie es ihnen persönlich tatsächlichen mit dem Inhalt geht, den sie mit dem Mitarbeiter*in thematisieren möchten.
Auch virtuelle Mitarbeitergespräche können positiv geführt werden
Natürlich können auch virtuelle Mitarbeitergespräche positiv geführt werden. Die umfangreiche unternehmerische Praxis des Autorenduos kann sich unter dieser Überschrift entfalten. Mein Fazit: Den Autoren gelingt es nicht nur beim Thema virtuelle Mitarbeitergespräche, sondern auch bei zahlreichen anderen Gesprächssituationen wie z.B. schwierigen Gesprächsanlässen u.ä. aufgrund der eingestreuten Interviews mit Praktiker*innen und der weiterführenden Online-Materialien, ein wirklich breites Potpurri an positiv geführten Gesprächsoptionen zu entfalten. Hoffentlich lassen sich zahlreiche Leser*innen davon anstecken.
Meine Bewertung: 5 Sterne