Kann Regelbruch wirklich nützen?

Als Beamtenkind irritiert mich der Titel maximal. Brauchbare Illegalität – was für eine Frage? Und dann der Untertitel: Vom Nutzen des Regelbruchs in Organisationen. Da mir Stefan Kühl als systemischer Denker mit Blick auf Organisationen vertraut ist, hat mich dieser Lesetipp eines befreundeten Unternehmensberaters trotz anfänglicher Irritation zum Buch greifen lassen.

Formale Regeln genügen nicht

Aus dem Sport ist uns das Phänomen im Umgang mit Regellücken vertraut. Hier gilt das Prinzip Fairness, um trotz Regellücken im Sinne des Spiels adäquat zu handeln. Auch in Organisationen stellen wir fest, dass nicht für alle Handlungssituationen im Vorfeld Regeln aufgestellt, Regelungen getroffen werden. Dann gilt es im Sinne des Unternehmenszweckes und der geltenden Rahmenbedingungen selbstständig die Regellücken durch adäquates Handeln zu schließen. Uns ist allen klar: ein Regelwerk ohne Regellücken ist eine Illusion.

Funktionale Regelverletzungen und brauchbare Illegalität

Stefan Kühl beschreibt in diesem Band ein weitergehendes Phänomen. Seine These: „Bei aller üblichen Skandalisierung von Regelbrüchen und Gesetzesverstößen ist die Einsicht in die Funktionalität der Regelabweichung in Organisationen in der Praxis weit verbreitet“ (S. 11). Er nennt dies die „brauchbare Illegalität“. Eindrucksvoll illustriert dies Kühl am Beispiel des Dienstes nach Vorschrift – eine äußerst wirkungsvolle Streikform, um Organisationen lahmzulegen.

Das Phänomen der Regelverstöße im Detail

Der wesentliche Teil des Buches besteht aus eindrucksvollen Beschreibungen (inklusive Praxisbeispielen!) verschiedenster Dimensionen, unter denen Regelverstöße wahrgenommen werden können:

– Geht es um Verstöße gegen staatliche Gesetze oder Vorgaben der Organisation?

– Die Unterscheidung zwischen brauchbarer und unbrauchbarer Illegalität.

– Wie gehe ich mit Organisationen um, in denen die Illegalität eingehegt bzw. nicht eingehegt ist?

– Wie entstehen Regelabweichung, Durchsetzung, Regulierung?

– Wie gehen Organisationen mit brauchbarer Illegalität um?

– Und: Wie es zur zunehmenden Moralisierung in Organisationen kommt und warum dies Heuchelei produziert.

Umgang mit Regelabweichungen und Regelkonformität als Alltagsaufgabe in Organisationen

Letztendlich kommt Kühl zur Erkenntnis, dass es zur Professionalität von Organisationsmitgliedern gehört, „mit der Spannung zwischen Unterbindung und Duldung von Regelabweichungen umzugehen. Sein Fazit: „Die Beherrschung des permanenten Wechsels zwischen Formalität und Informalität ist letztendlich das, was gute Organisationsmitglieder auszeichnet“ (S. 181). Wer sich mit diesem Phänomen auf systemisch sauber fundierter Hintergrundtheorie mit viel Praxis und einem Schuss Amusement auseinandersetzen will, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen!

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