Wir spüren die Nachwirkungen bis heute
Die Integration sowie heutige Lage der Ostdeutschen seit der Wende, damit befasst sich Petra Köpping in ihrem Buch. Eine Kollegin aus der Change Management-Beratung hat mir in der Pause eines Projektlenkungsausschuss den Lesetipp zugerufen. Anlass war unsere Verwunderung, dass der offensichtlich nötige Change, der auch den Mitarbeitern/-innen und Führungskräften deutliche Chancen bietet, bei diesem Kunden im Osten Deutschlands einfach keine Fahrt aufnehmen wollte.
Integration als wertschätzende Wahrnehmung des Vergangenen
Nicht erst seit ihrer Tätigkeit als sächsische Integrations- und Gleichstellungsministerin hat Petra Köpping den Satz „Integriert doch erst mal uns!“ vernommen. Nachdem er in Diskussionen um radikalisierende Tendenzen im Osten Deutschlands immer häufiger aufgetaucht ist, hat sich die Autorin die Mühe gemacht, den Hintergründen zu diesem Hilferuf nachzugehen. Dazu zeichnet sie das Wirken der Treuhandanstalt und die Folgen der Nachwendezeit nach. Ihr Fazit: Es kam zu Ungerechtigkeiten, die bis heute bestehen und nicht angegangen und gelöst werden. Z.T. erst überhaupt nicht im größeren Rahmen thematisiert sind. Auch die heutigen Machtverhältnisse in Ostdeutschland beschreibt die Autorin als ungerecht. Sei es bei der Besetzung der Chefetagen im Management, sie es bezüglich der Einkommenssituation. Die Beschreibung dieser Ungerechtigkeit in Ostdeutschland lässt die Autorin in einem Satz von Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung gipfeln: „Wir haben es (in Ostdeutschland, S.T.) mit hegemonialen Strukturen zu tun, die sich bewusst oder unbewusst reproduzieren“ (S. 102f).
Ein Phänomen dabei: Obwohl bereits die nächste Generation, die keine Wendeerlebnisse oder nur Kindheitserinnerungen haben, das Land prägt, hängt die Nachwendezeit noch in den Köpfen. Deshalb braucht es eine Aufarbeitung, bei der der Westen zuhört und versteht.
Den Mut verlieren? Nein!
Nach den Beschreibungen könnte man den Mut verlieren und Ostdeutschland mangels Chancen der AfD überlassen. Köpping hat nach ihrer zum politischen Reformationstag der SPD 2016 jedoch eine so starke Resonanz bekommen, dass sie nicht klein beigibt. Es geht der Autorin zur Folge darum, dass man das Misstrauen, das durch den negativen Gründungsmythos Treuhand erzeugt wurde, in Vertrauen verwandelt.
Dazu stellt Sie konkrete Folgerungen vor:
- Wir müssen erzählen und uns gegenseitig zuhören.
- Wir brauchen ein Bündnis zwischen Ost und West.
- Eine ehrliche Aufarbeitung der Treuhand ist erforderlich.
- Man muss reparieren, was irgend möglich ist.
- Wir müssen uns emanzipieren.
- Es muss eine Debatte über notwendige Veränderungen in ganz Deutschland her.
Das Grundanliegen von Köpping: die Demokratie zu verteidigen! Ich bin gespannt, wann dieses Anliegen endlich entsprechend gehört wird.