Konflikte als Chance: Wie Störungen Beziehungen im Beruf stärken können

Aus dem privaten Umfeld kennen wir es wahrscheinlich alle. Zwei Menschen geraten in einen heftigen Streit – obwohl es um etwas scheinbar Banales geht. Zum Beispiel die Frage, wer die Verantwortung für eine vergessene Rechnung trägt.

Die Folge: angespannte Stimmung – beide fühlen sich unverstanden. Zum Glück entscheiden sie sich, das Gespräch zu suchen und dem Konflikt nicht auszuweichen. Sie sprechen nicht nur über das Offensichtliche (die Rechnung), sondern auch über die dahinterliegenden Gefühle. Sie erkennen: Eigentlich geht es um Sicherheit und Wertschätzung.

Ein unbequemer Moment – der jedoch dazu führt, dass beide einander besser verstehen. Wahrscheinlich kennen wir alle solche Beispiele – aus dem Freundeskreis oder aus eigener Erfahrung: „Dieser Streit war ein Wendepunkt. Seitdem sind wir enger verbunden, weil wir gelernt haben, ehrlich über unsere Bedürfnisse zu sprechen.“

Störungen als Wachstumschance im Beruf

In einer Führungswerkstatt – einem vertraulichen Austauschforum für Führungskräfte innerhalb eines Unternehmens – habe ich es vor einigen Monaten selbst erlebt. Ausgehend von einer sachlichen Frage – wie ein bestimmter Sachverhalt zu bewerten sei – entwickelte sich plötzlich eine konträre Diskussion.

Die unterschiedlichen Positionen wurden zwar sachlich, aber mit spürbarer Anspannung vorgetragen. Einige Teilnehmende waren vom Inhalt und den konträren Perspektiven so bewegt, dass eine kurze Auszeit nötig wurde, um sich wieder zu sammeln.

Nach der Auszeit entschied sich die Runde, das Gespräch vertieft fortzusetzen. Wir nahmen uns bewusst Zeit, um die unterschiedlichen Erwartungen hinter den Sachargumenten zu verstehen. Letztlich ging es nicht nur um den konkreten Sachverhalt, sondern auch um Vertrauen, Rollenverständnis – und um Erwartungen und Erwartungserwartungen im Miteinander.

Acht Wochen später, bei der nächsten Führungswerkstatt, erlebte ich die Managementrunde deutlich verändert. Die Kolleg:innen sprechen offener miteinander, verteilen Verantwortung klarer – und wirken deutlich verbundener. Aus einer Störung wurde ein Wendepunkt – das Managementteam ging gestärkt daraus hervor.

Störungen als Beginn einer tieferen Verbindung

Provokant formuliert: Konflikte sind kein Zeichen des Scheiterns – sondern eine Einladung zum Wachstum! Störungen markieren damit nicht das Ende – sondern den möglichen Beginn einer tieferen Verbindung (Blog: Konflikte als Entwicklungshelfer).

Konflikte sind unvermeidlich

Das zeigt nicht nur die Alltagserfahrung, sondern auch die Kommunikationspsychologie sehr deutlich. Denn: Beziehungen sind stets dynamische Systeme. Sie verändern sich – etwa durch wechselnde Rahmenbedingungen, Projektfortschritte oder durch Reifungs- und Lernprozesse der beteiligten Personen.

Die daraus entstehenden unterschiedlichen Bedürfnisse und Erwartungen führen zwangsläufig zu Spannungen.

Mythos Harmonie

Es liegt auf der Hand: Dauerhafte Harmonie ist unrealistisch. Beziehungen durchlaufen Phasen mit mehr oder weniger ausgeprägter Harmonie. Der dauerhafte Anspruch, Arbeitsbeziehungen harmonisch zu halten, kann sogar schädlich wirken.

Der Harmonie-Druck kann von Vermeidung („Das könnte zu Disharmonie führen, also spreche ich es lieber nicht an“) bis hin zur Entfremdung reichen („Bevor ich es ansprechen muss, ignoriere ich es lieber“).

Die Chance in Konflikten

Die psychologische Forschung zeigt eindrucksvoll, welches Potenzial in Konflikten liegt. Hier einige Kernaussagen:

  • Respektvolle Konfliktlösung steigert Zufriedenheit: Paare, die konstruktiv mit Konflikten umgehen, berichten über deutlich höhere Beziehungszufriedenheit – so zeigen es Langzeitstudien aus dem „Love Lab“ der University of Washington (Gottman & Gottman, 1999: The Seven Principles for Making Marriage Work. New York).
  • Konflikte können Nähe schaffen: Werden sie empathisch und offen geführt, stärken sie gegenseitiges Verständnis und emotionale Bindung (Overall et al., 2009: Regulation processes in intimate relationships: The role of ideal standards. Journal of Personality and Social Psychology, 96(1), 86–103.).
  • Sichere Bindungen fördern Lösungen: Studien zeigen, dass sicher gebundene Erwachsene Konflikte eher kooperativ und lösungsorientiert bewältigen (Bowlby, 1969; Ainsworth et al., 1978: Patterns of Attachment: A Psychological Study of the Strange Situation. Hillsdale, NJ).
  • Störungen ermöglichen neue Muster: Die systemische Perspektive zeigt, dass durch Störungen neue Muster entstehen können.

Störungen als Chance der Beziehungsintensivierung – Bruchstellen vergolden!

Die Auseinandersetzung mit Störungen und ihren Chancen für Beziehungen erinnerte mich an die japanische Kunst des Kintsugi – das Reparieren zerbrochener Keramik mit Gold. Diese Kunstform bietet eine kraftvolle Metapher für den Umgang mit Konflikten: Brüche werden nicht kaschiert, sondern sichtbar veredelt.

Kintsugi Konflikte als Chance Tonschale repariert mit Gold

Übertragen auf den Berufskontext ergeben sich mehrere Ansätze:

Wertschätzung statt Schuldzuweisung

Nach dem Kintsugi-Prinzip werden Bruchstellen nicht verborgen, sondern bewusst hervorgehoben. Übertragen auf den Berufsalltag heißt das: Konflikte und ihre Lösungen offen ansprechen und transparent machen.

Ein Beispiel: Ein Teamkonflikt wird bewusst reflektiert. Im Austausch wird deutlich, was daraus gelernt wurde – und diese Erkenntnisse fließen sichtbar in die Arbeitskultur ein.

Reparatur als kreative Weiterentwicklung

Dem Kintsugi-Prinzip folgend ist das reparierte Objekt einzigartig – und oft schöner als zuvor. Übertragen auf den Berufsalltag heißt das: Konflikte können Impulsgeber für Innovation sein. Häufig entstehen nach Auseinandersetzungen über Prozesse und Abläufe gemeinsam entwickelte Lösungen – die sich als deutlich besser und effizienter erweisen.

Gold als Symbol für Wert

Im Kintsugi werden Bruchlinien mit Gold gefüllt – das Wertvollste wird genau in die Schwachstelle eingebracht. Übertragen auf den Berufsalltag heißt das: Empathie, Vertrauen und Kommunikation gezielt einbringen – ohne dabei die eigenen Grenzen zu überschreiten. Denn gerade an der Grenze entstehen oft die entscheidenden Erkenntnisse.

Für den beruflichen Alltag heißt das: Bewusst Zeit und Aufmerksamkeit in die Bearbeitung von Konflikten investieren – statt sie vorschnell und oberflächlich zu lösen.

Sichtbarkeit der Geschichte

Nach dem Kintsugi-Prinzip erzählt jede Reparatur auch die Geschichte des Objekts. Übertragen auf den Berufsalltag heißt das: Konflikte als Teil der Teamgeschichte anerkennen und würdigen.

Zum Beispiel können in Retrospektiven nicht nur Erfolge, sondern auch Brüche und deren Heilung sichtbar gemacht werden – als Ausdruck von Entwicklung und Wachstum.

Die grundsätzliche Haltung: Ein Bruch ist auch eine Chance

Im Kintsugi gelten Brüche nicht als Makel, sondern als Teil der einzigartigen Schönheit des Objekts. Übertragen auf den Berufsalltag heißt das: Eine Fehlerkultur fördern, die den Lernchancen in Fehlern Raum gibt und sie bewusst in den Fokus rückt (vgl. www.loquenz.de/vom-fehler-zum-helfer). Psychologische Sicherheit ist dabei eine zentrale Voraussetzung (vgl. www.loquenz.de/und-wo-ist-jetzt-der-haken).

Konkret heißt das: Teams ermutigen, Konflikte offen anzusprechen – und zwar ohne Angst vor negativen Konsequenzen.

Störungen als Chance der Beziehungsintensivierung – im Prinzip einfach

Eigentlich ist es ganz einfach: Störungen als Chance zur Vertiefung von Beziehungen sehen. Ich bin gespannt auf Ihre Erfahrungen!

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