Religion braucht und hat Zukunft
Ken Wilber ist für seine äußerst umfangreichen Werke bekannt. Auch mit „Die Religion von morgen: Eine Vision für die Zukunft der religiösen Traditionen“ bleibt er seinem Kurs treu. Die Frage, der er dieses Buch widmet ist die Frage, „wie eine mögliche Religion von morgen aussehen könnte“ (S. 9). Mein Eindruck: es ist ihm gelungen, Antworten auf die Frage, wie eine mögliche Religion von morgen aussehen könnte, zu finden.
Beispiel Buddhismus
Sehr schön ist es, dass sich Wilber nicht nur den theoretischen Aspekten einer Religion von morgen widmet, sondern in seinen Ausführungen auch ganz praktisch wird. Er wählt dazu das Beispiel des Buddhismus, ohne damit aussagen zu wollen, dass andere Traditionen nicht genauso inspirierend sein können. Sein Ziel ist es, dass mir als Leser Hilfestellung gegeben wird, meinen eigenen spirituellen Weg zu gehen. Unabhängig davon, in welcher Tradition ich groß geworden bin oder welcher Tradition ich mich besonders verbunden fühle.
Leere und Form – Welle und Ozean
Die Bilder, die Wilber aus dem Buddhismus verwendet, sind eindrucksvoll. Auf den ersten Blick mögen sie einem fremd sein, wenn man mit der Tradition des Buddhismus nicht vertraut ist. Auf den zweiten Blick lassen sie sich gut auf die eigene Tradition anwenden. Um Nicht-Dualität zu beschreiben, im Buddhismus die Gleichzeitig von Leere und Form, wird häufig die Metapher vom Ozean und seiner Wellen genutzt. Im Christentum könnte das das Bewusstsein von Gott in uns und Gott in Allem sein
Aufwachen und Aufwachsen
Sehr umfangreich beschreibt Wilber die Gefahren und Fallstricke, der spirituellen Entwicklung. Welche problematischen Symptome und Defizite können entstehen, wenn ich mich dem Weg des Aufwachens und des Aufwachsens widme. Bei der Lektüre fand ich Wilbers Schilderungen wirklich sehr ausführlich, denke ich an die Begleitung von spirituellen Entwicklungen, dann ist es sicherlich gut, über diese Phänomene Bescheid zu wissen.
Aufräumen
Deutlich wird auch in diesem Werk, dass spirituelle Entwicklung und psychotherapeutische Reifungsprozesse sich hervorragend ergänzen können, sich aber keinesfalls gegenseitig ersetzen. Aufwachen, Aufwachsen und Aufräumen sind drei Entwicklungsfelder, die ich für spirituelle Begleitung gleichmäßig im Blick haben sollte.
Integrale Spiritualität
Im letzten Drittel des Buches, stellt Wilber Elemente einer integralen Spiritualität vor. Hier wird es richtig spannend und inspirierend, für den persönlichen spirituellen Weg. Wilber gibt zu einen sehr praxisorientierte Hinweise, zum anderen öffnet er die Art und Weise, wie ich über Spiritualität reflektieren kann. Natürlich immer in Abhängigkeit zu meinem persönlichen Prozess des Aufwachsens, Aufwachens und Aufräumens.
Intergrale Semiotik
Der Autor zieht aus seinen Darstellungen die Konsequenz, dass eine integrale Spiritualität eine integrale Semiotik erfordert. Die Art und Weise, wie ich über einen Sachverhalt spreche und denke, wirkt sich auf die Wahrnehmung des Sachverhaltes aus. Mithilfe einer integralen Semiotik kann Hilfe geleistet werden, integrale Spiritualität jenseits unserer traditionsgebundenen Mindsets, entdecken und praktizieren zu können. Und dazu darf der Beitrag des gemeinsamen Austausches über integrale Spiritualität nicht unterschätzt werden.
Entwicklung der Nondualität
Überraschend knapp fällt das letzte Kapitel „Entwicklung der Nondualität“ aus. Wilbers Verständnis: „Eine neue Freiheit beim Aufwachen, eine neue Fülle beim Aufwachsen, ein neues Aufblühen beim Aufräumen und ein neues volle Funktionieren beim AUFTAUCHEN – das ist das erstaunliche Gesicht eines neuen Geistes, der mit unaufhaltsamer Wut auf uns zukommt“ (…) „Und nun geh hinaus und gestalte die Welt neu.“ (…) „Ergreife dein Selbst, finde die Welt, erwecke und erschaffe beides neu.
Das ist jetzt dein eigener, tiefster moralischer Imperativ – mit allen Lichtern, die du finden kannst, leuchte die Welt, strahle die Welt an, erleuchte die Welt, erleuchte die Welt. Wenn du es nicht tun kannst, kann es nicht getan werden – also beeile dich und mach mit. Wir alle warten sehnsüchtig auf dich und sind für unsere Rettung auf dich angewiesen“ (S. 661-664).