Frithjof H. Bergmann hat mit dem Thema „New Work“ schon vor etlichen Jahren die Frage in den Raum gestellt, wie wir, die Arbeitswelt menschlicher gestalten können. Ein Element dabei ist die Flexibilisierung von Arbeitsort und Arbeitszeit. Die Technik dazu ist schon etliche Jahre vorhanden. Und jetzt, innerhalb weniger Wochen, ist z.B. Homeoffice fast schon alltägliche Praxis.
Eigentlich könnte man fast schmunzeln, wenn man an die bislang vorherrschenden Diskussionen denkt, die immer wieder um ähnliche Fragen kreisten: Wie kann Homeoffice stimmig genutzt werden? Wo ist es sinnvoll? Wo stehen eher Bedenken im Raum? Auch mich hatte das erst im September letzten Jahres zu einem Blogbeitrag veranlasst (vgl. https://www.loquenz.de/fluch-und-segen-home-office).
Aufwändiges Planen wird durch Erproben ersetzt
Man könnte die derzeitige Situation in der Arbeitswelt auch als ein groß angelegtes sozialwissenschaftliches Experiment sehen.
In der Regel gehen wir solch radikale Veränderungen der Arbeitskultur nur mit einem häufig lang dauernden Vorlauf an: mit Workshops zur Change-Konzeption, Erhebung von Risikofaktoren, Integration der Stakeholder… Jetzt zwingen uns die Rahmenbedingungen fast zu einem Sprung ins nur leicht angewärmte Wasser. Mich hat diesen Montag überrascht, wie intensiv und kompakt unser wöchentliches Line-up verlief, obwohl die große Mehrheit der Kollegen und Kolleginnen per Zoom teilgenommen hatte. Jetzt heißt es fast im Tagesrhythmus, Dinge neu zu erproben und rasch hinzuzulernen. Eben ein groß angelegtes Experiment, bei dem kein Kollege, keine Mitarbeiterin außen vor bleiben kann.
Mit dem Begriff des KATA als Lernprozess hat Mike Rother diesen iterativen Lernprozess sehr schön beschrieben (vgl auch https://www.loquenz.de/buecher/lean-kata und https://www.loquenz.de/buecher/kata-managementkultur). Jetzt gehört dieses schnelle und experimentelle Lernen in überschaubaren Schleifen praktisch schon zur alltäglichen Arbeitskultur.
Vielfalt der Besprechungsformate
Auch die Besprechungsformate beginnen sich deutlicher auszudifferenzieren. Während bisher fast automatisch immer eine Stunde Teammeeting angesetzt war, tauchen jetzt Fragen auf wie: Sollten wir uns nicht lieber über zwei- oder dreimal 20 Minuten über den Tag verteilt online treffen? Wie gestalten wir den kurzen Austausch auf dem Flur oder an der Kaffeemaschine? Am Anfang mag es ungewohnt wirken, aber mit der Zeit kann es auch üblich werden, die Kaffeepause gemeinsam zu verbringen und über die alltäglichen Begegebenheiten des Lebens vor dem geteilten Bildschirm zu plaudern.
Mehr explizite Kommunikation
Eine wichtige Erfahrung schon nach wenigen Tagen: virtuelle Kommunikation ist weniger reichhaltig. Es fehlen Mimik und Gestik, auch die Zwischentöne im Gesagten sind schwieriger zu verstehen. Das produktive aneinander Anschließen, das von außen gesehen manchmal wie ein sich ins Wort fallen wirkt, ist online schon aufgrund der leichten Zeitverzögerung in der Übertragung nur schlecht abzubilden. Als Konsequenz daraus müssen wir die Kommunikationsformen exakter festlegen. Wer redet wann? Melden wir uns? Wie lange warten wir ab, bevor wir gezielt unterbrechen, während eine andere Person spricht?
Dafür werden aber auch die Vorteile von Videokonferenzen sehr schnell erfahrbar. Ich kann sehr leicht Inhalte teilen, weitere Gesprächspartner dazuholen oder illustrierendes Material einspielen. Auch provoziert das Online-Format jeden Sprecher, exakter auf den Punkt zu kommen, da sonst die Aufmerksamkeit der anderen rasch nachlässt.
Präsentismus ade!
Eine sehr schöne Entwicklung in Bezug auf den Umgang mit Gesundheit und Krankheit. Es ist nicht mehr so schick, erkältet ins Büro zu kommen. Jetzt wird die Bereitschaft deutlich höher, auch bei einer leichten Erkältung – spätestens auf Wunsch der Kollegen – zuhause zu bleiben. Man kann ja auch über´s Homeoffice präsent sein 😊. https://www.loquenz.de/praesentismus-krank-zur-arbeit.
Bei allen offenen Fragen und Spannungen, die wir im Moment bei der Frage, wie wir gut mit der Pandemie umgehen, haben – ich bin gespannt, welche Wirkungen sich auf die Unternehmen und eine modifizierte Organisations- und Arbeitskultur herausbilden. Und was von diesen Erfahrungen bleibt, nachdem wir die Pandemie nicht nur mit ihren zahlreichen Folgen verarbeitet haben.
Vielen Dank auf jeden Fall schon einmal an Prof. Moskaliuk (Wirtschaftspsychologe), der mich mit dem Team von Max13 (ww.max13.net) zu dem einen oder anderen Punkt angeregt hat. Sehenswert auch das kurze Gespräch bei „hessen extra“ https://www.youtube.com/watch?v=Ky_N7b2kjY8 (ab Minute 3).