Der Begriff „toxische Positivität“ scheint als Begriff Resonanz zu gewinnen. Es tauchen Überschriften auf wie:
- „Der Zwang zum Glücklichsein“ (s. AOK Magazin)
- „Schädlicher Optimismus“ (s. Barmer : Gesundheit verstehen)
- „Wieso zwanghaftes Glücklichsein auf Dauer unglücklich macht“ (s. Der Spiegel).
Man könnte fast den Eindruck gewinnen, man sollte vor dem Nutzen der Instrumente der Positiven Psychologie gewarnt werden – obwohl die Positive Psychologie eigentlich einen Beitrag zum Aufblühen von Einzelnen, Teams und Organisationen leisten will. Dr. Markus Ebner liefert mit Positive Leadership genau dafür wichtige und ermutigende Beispiele (s. Loquenz-Beitrag Positive Leadership).
Positive Psychologie und toxische Positivität werden als Gegensätze aufgebaut
Auf LinkedIn tauchen Überschriften auf, die von Positiver Psychologie vs. toxische Positivität sprechen (s. LinkedIn-Beitrag von ). Man könnte meinen, dass Positive Psychologie und toxische Positivität geradezu gegensätzlich sind, sich gegenseitig ausschließen. Schaut man etwas genauer hin, dann bezeichnet der Begriff der toxischen Positivität nicht einen Gegensatz zur Positiven Psychologie, sondern bezeichnet das Ausschließen von negativen Gefühlen aus dem persönlichen Erleben.
Positive Psychologie hat negative und positiven Emotionen im Blick
„In der Positiven Psychologie interessiert uns vor allem die unterschiedliche Qualität der Emotionen. Der Fokus liegt auf den positiven Emotionen, wobei negative Emotionen in der Positiven Psychologie weder ignoriert, noch abgelehnt werden. Negative Emotionen sind genauso Teil eines glücklichen Lebens und erfüllen oftmals einen wichtigen Zweck“ (Beitrag von Alexandra Löffler: „Die Kraft positiver Emotionen„). Eine der Kernfragen der Positiven Psychologie besteht darin, welche Rollen Emotionen für das persönliche Aufblühen, das Glücklichsein, spielen. Und wie ich Emotionen nutzen kann, um mein persönliches Aufblühen zu fördern.
Vertreter des Konzeptes des posttraumatischen Wachstums gehen sogar davon aus, dass posttraumatisches Wachstum nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Nach Studien sind 60 – 80 % der Menschen, die eine tiefgreifende Krise durchlebt haben, dadurch langfristig zufriedener und stärker geworden (mehr auf Wikipedia).
Toxic Positivity: Warum zu viel Optimismus schaden kann
Im NATIONAL GEOGRAPHIC erschien vor einiger Zeit ein Beitrag mit dem Titel „Toxic Positivity: Warum zu viel Optimismus schaden kann“. Der Beitrag bezieht sich dabei auf den Hashtag ‚#positivevibes‘ mit dem suggeriert wurde, dass eine positive Einstellung negative Gedanken vertreibe und mit dem richtigen Mindset jeder glücklich sein könne.
Auf welche Grundlage bezieht sich dieser Beitrag? „Eine Studie untersuchte an College-Studenten, wie Toxic Positivity die mentale Gesundheit während der Pandemie beeinflusste. Die Befragten berichteten von ihrer Scham, die sie davon abhielt ihre negativen Emotionen zu teilen. Als Grund dafür nannten sie das Abtun ihrer Emotionen durch ihr soziales Umfeld und die Nutzung sozialer Medien. In der Folge fühlten sie sich frustriert und traurig. „Wenn man als Person einen Verlust erlebt und dann nur gesagt bekommt, man solle an etwas Positives denken, ist das nicht hilfreich“.
Optimismus und Positivität sollten auch Platz für die Wahrnehmung von Pessimismus und Negativität lassen
Meine Quintessenz aus der Diskussion um toxische Positivität: Es geht um das Leben als Ganzes. Und das Ganze besteht aus zahlreichen schillernden Facetten. Diese gilt es wahrzunehmen. Und dann für sich selbst zu entscheiden, welchen Facetten man mehr Geltung verschaffen möchte, um im Leben aufzublühen.
Genau an dieser Stelle wird es spannend. An der Stelle, an der ich meine Wahrnehmung in die eine oder andere Richtung stärken kann. Die Erkenntnis der Forschungen aus dem Bereich der Positiven Psychologie belegt eindeutig, wenn es mir gelingt, z.B. positive Emotionen verstärkt wahrzunehmen, ist dies ein Beitrag zu meinem persönlichen Wohlempfinden. Barbara Fredrickson beschreibt das sehr schön in „Die Macht der guten Gefühle: Wie eine positive Haltung Ihr Leben dauerhaft verändert“ (Buchrezension). D.h. jedoch noch lange nicht, die Wahrnehmung negativer Emotionen zu unterdrücken.
Vielleicht ist es wie mit der Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Richtig sind beide Beschreibungen. Doch welche Beschreibung kann für mich ein Beitrag sein, der mein persönliches Aufblühen unterstützt?