Aus unterschiedlichen Perspektiven auf ein betriebliches Phänomen zu schauen, die Wahrnehmungen zusammenzutragen und dann zu einem gemeinsamen Meinungsbild zu kommen, das ist ein der Erfolgsrezepte, wie Fortschritt in Betrieben zur Realität wird. So weit die Grundidee. Der betriebliche Alltag belehrt einen des Öfteren anders. In Beratungssituationen erlebe ich es immer wieder, dass sich zuerst die formellen Meinungsführer zu einer Fragestellung positionieren und einzelne Mitarbeitende Gremium mit mehr oder weniger blumigen Worten der vorgeprägten Argumentation anschließen – unabhängig von der Expertise der vortragenden Person. Ist der Entscheidungsfindungsprozess einmal so weit fortgeschritten, dann fällt es unglaublich schwer, zum reinen Beschreiben der Wahrnehmungen zurückzukehren.
Die Schwierigkeit, bei der möglichst reinen Beschreibung des Phänomens zu verharren
Auch wenn es unter Entscheidungsdruck manchmal unmöglich zu sein scheint, im ersten Schritt bei der reinen Beschreibung des Phänomens, auf das wir im Betrieb reagieren wollen zu verharren, es lohnt sich. Zum einen, um möglichst wenig blinde Flecken in der Beschreibung zu erzeugen, zum anderen, um die Beschreibung nicht unnötig zu verzerren. Manchmal machen, für die sich an die Beschreibung anschließende Diskussion um den besten Umgang mit diesem Phänomen oder Problem, das Erkennen dieser feinen, kaum wahrnehmbaren Verzerrungen, den entscheidenden Unterschied in der Lösungsfindung aus.
Evidenzbasiert und eminenzbasiert?
Prof. Dr. Judith Mangelsdorf bringt diese Problematik, ob wir uns auf die Faktenlage und Expertise fokussieren oder dem Ansehen der Personen, die eine Meinung vertritt, mehr Aufmerksamkeit schenken unter dem Titel „evidenzbasiert und eminenzbasiert?“ sehr schön auf den Punkt. Am Beispiel von Markus Lanz und Richard David Precht und ihre kritische Perspektive auf die Positive Psychologie beschreibt sie z.B. den Haloeffekt, also die Übertragung von Eigenschaftszuschreibungen, wie Expertise in andere Kontexte.
Ein Phänomen, das aus innerbetrieblichen Diskussionen sehr gut bekannt ist. Wenn sich z.B. der Experte eines bestimmten Bereiches zu Wort meldet, werden seine Ausführungen sehr wohlwollend zu Kenntnis genommen, auch wenn er sich gerade zu einem ihm fachfremden Thema äußert. Sein Ansehen strahlt auch auf fachfremde Inhalte ab.
Demut als Ratgeber
Die Quintessenz, die Judith Mangelsdorf zieht: „Eine Meinung kann man zu allem entwickeln, Fachwissen jedoch nicht. Die erste Frage, wenn Sie von einer Aussage bewegt sind, sollte sein: „Warum sollte ich Das glauben?“ Und wenn die Antwort nicht „Expertise“ lautet, dann gilt hier eine der zentralsten Weisheiten des Lebens: Demut ist oft ein guter Ratgeber.“
Ich werde in nächster Zeit darauf achten, ob ich nicht mit Demut reagieren sollte… Auch wenn mir das sicherlich nicht leichtfällt.