Durch ein Ereignis gestresst? Affect Labeling kann zum emotionalen cool-down beitragen

Wahrscheinlich haben wir das alle schon einmal erlebt. Wir gehen unserem Alltag nach und unerwartet reagiert jemand in unserem Umfeld auf eine Art und Weise, dass wir innerlich emotional getriggert werden und uns z.B. über diese andere Person aufregen. Typischerweise begleitet uns diese Situation über den Tag hinweg und lenkt uns immer wieder von unserem eigentlich Tun ab. Wie kann ich mich aus einem solchen Zustand wieder herausholen? Sebastian Purps-Pardigol empfiehlt das Affect Labeling, um die emotionale Selbstregulation im Arbeitsalltag wieder herzustellen (vgl. Youtube ab der Minute 10:58).

Affect Labeling – die Gefühle einer erlebten Situation in Worte fassen

Die Idee hinter Affect Labeling ist einfach, aber durchaus kraftvoll. Das Ausdrücken und Benennen von Emotionen kann helfen, deren Intensität zu reduzieren. Damit kann ich mein eigenes emotionales Wohlbefinden verbessern. Dazu bieten sich zwei Möglichkeiten an:

  • Ich kann den Stressor beschreiben, also den Impuls, der mich emotional triggert (z.B. die direktive und unhöfliche Art und Weise, wie mich der Unbekannte mit seiner pipsigen Stimme aufgefordert hat, zur Seite zu gehen); oder
  • Ich kann meine eigene Reaktion auf den Stressor beschreiben (z.B. nachdem mich dieser Unbekannte so oberlehrerhaft angesprochen hat, bin ich mir wie ein unfähiger Schuljunge vorgekommen)

Am besten nutzt man bei der Beschreibung eine bildhafte Sprache. Versuchen Sie, über grundlegende Begriffe wie “glücklich” oder “traurig” hinauszugehen und spezifischere Wörter wie “begeistert”, “melancholisch” oder “ambivalent” zu verwenden. Unser Gehirn wird damit im Bereich der Amygdala beruhigt. Oder um es für alle, die es exakt verstehen möchten, auf den Punkt zu bringen: Studien haben gezeigt, dass das Benennen von Emotionen die Aktivität in der Amygdala, einem Bereich des Gehirns, der für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist, reduziert und gleichzeitig die Aktivität im ventrolateralen präfrontalen Kortex erhöht, was zu einer besseren emotionalen Regulation führt.

Wenn ich darüber sprechen kann, dann ist es bereits nicht mehr so schlimm

Die Forschungen belegen also das vertraute Wissen, dass über eine Situation zu sprechen, sich den Frust von der Seele zu reden, dazu beiträgt, eine emotionale Auslenkung leichter zu verarbeiten und sich nicht dadurch aus der Bahn werfen zu lassen. Wichtig ist beim Affect Labeling, dass ich meine Emotionen bewusst in Worte fasse. Die Möglichkeiten dazu sind vielfältig. Z.B. kann ich ein Tagebuch führen. Nehme ich mir täglich ein paar Minuten Zeit, um meine Gefühle und Gedanken aufzuschreiben, kann dies ein wertvoller Beitrag sein, meine Emotionen zu klären. Langfristig trägt das zu einem besseren emotionalen Wohlbefinden bei.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, das Gespräch zu suchen. Z.B. mit Kollegen oder Freunden. Sprechen Sie mit diesen über Ihre Gefühle. Oft hilft es, die eigenen Emotionen laut auszusprechen und Feedback von anderen zu erhalten, um sich selbst nach einer emotionalen Auslenkung „herunterzuholen“. Oder sprechen Sie mit sich selbst. Sagen Sie z.B. zu sich selbst: “Ich fühle mich gestresst, weil ich eine enge Deadline habe.” Bereits das reine Benennen der Emotion kann helfen, deren Intensität zu reduzieren.

Anwendung von Affect Labeling als Führungskraft

Als Führungskraft haben Sie die Verantwortung sowohl für Ihr eigenes emotionales Wohlbefinden, als auch für Ihren Beitrag zum emotionalen Wohlbefinden Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hier einige Ideen, wie Sie Affect Labeling in Ihrer Führungsrolle nutzen können:

  1. Vorbildfunktion: Zeigen Sie Ihren Mitarbeitern, dass es in Ordnung ist, über Gefühle zu sprechen. Teilen Sie gelegentlich Ihre eigenen Emotionen und wie Sie damit umgehen. Dies schafft eine offene und vertrauensvolle Atmosphäre.
  2. Emotionale Intelligenz fördern: Ermutigen Sie Ihre Mitarbeiter, ihre Gefühle zu benennen und auszudrücken. Check-Ins, die auch die emotionale Ebene mit umfassen zu Beginn von Besprechungen, stellen dazu eine gute Möglichkeit dar.  Schaffen Sie bewusst auch Raum für persönliche Themen.

Spannend wird das Affect Labeling in interkulturellen Teams. Nicht alle Kulturen und Individuen sind gleichermaßen offen für das Sprechen über Emotionen. Berücksichtigen Sie diese Gewohnheiten und respektieren Sie die individuellen Grenzen Ihrer Mitarbeiter. Zudem ist Psychologische Sicherheit eine Grundvoraussetzung für Affect Labeling. Unter https://www.loquenz.de/tipps-fuer-psychological-safety-am-arbeitsplatz/ und https://www.loquenz.de/playbook-psychologische-sicherheit finden Sie dazu weitere Hinweise.

Potenzielle Gefahren von Affect Labeling

Wie immer, entscheidet natürlich auch die Dosis über die Wirkung. Setzen Sie Affect Labeling sehr gezielt ein. Es kann sonst leicht passieren, dass eine übermäßige Fokussierung auf negative Emotionen entsteht. Fördern Sie im gleichen Maße auch das benennen von positiven Emotionen. Z.B. mit dem Format „What went well?“ zu Beginn eines Meetings. Welche ein, zwei oder drei Dinge haben seit dem letzten Meeting gut geklappt?

Und natürlich kann Affect Labeling kein Ersatz für professionelle Hilfe bei schweren psychischen Problemen verwendet werden. Sind die Triggerpunkte bei einem Kollegen oder einer Mitarbeiterin so stark, dass er oder sie diesen ausgeliefert zu sein scheint, dann sollte professioneller Rat außerhalb des Arbeitskontextes gesucht werden.

Meine Erfahrung

Affect Labeling ist eine kraftvolle Technik zur emotionalen Selbstregulation. Sie kann in vielen Situationen sowohl von Mitarbeitern als auch von Führungskräften genutzt werden. Durch das bewusste Benennen von Emotionen erzeuge ich Abstand zum Geschehen und es können Stress und negative Gefühle reduziert und das allgemeine Wohlbefinden verbessert werden. Ich finde Affect Labeling vor allem ein schönes Übungsfeld für mich selbst!

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