Positive Leadership – wo bleiben da die Schwächen?

Die positive Psychologie hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt und bietet einen optimistischen und stärkenorientierten Ansatz zur Förderung des Wohlbefindens. Parallel dazu taucht auch immer wieder der Vorwurf auf, dass die Positive Psychologie mit Positivem Denken gleichzusetzen sei. Positive Psychologie setze die rosarote Brille auf und konzentriere sich so zu sehr auf Stärken, während der Umgang mit Schwächen oft
übersehen werde.
In diesem Blogbeitrag möchte ich einen Einblick in die Ansätze der positiven Psychologie
zum Umgang mit persönlichen Schwächen geben.

Positive Psychologie ist gleich positives Denken?

Ein häufiges Missverständnis ist, dass Positive Psychologie mit Positivem Denken gleichgesetzt wird. Positives Denken „ist eine Denk-Methode, bei welcher das eigene bewusste Denken konstant positiv zu beeinflussen versucht wird (z.B. mit Hilfe von Affirmationen oder Visualisierungen), um eine dauerhaft konstruktive und optimistische Grundhaltung zu erreichen und infolgedessen eine höhere Zufriedenheit und Lebensqualität zu erzielen“ (Wikipedia). Das heißt, mit Positivem Denken versuche ich direkt Einfluss auf meinen Denk-Stil zu nehmen; Schwächen spielen dabei keine Rolle.

Was ist Positive Psychologie?

„Positive Psychologie ist die Wissenschaft dessen, was Individuen, Organisationen und Gesellschaften dazu befähigt, sich bestmöglich zu entwickeln und aufzublühen (‚flourish‘). Positive Psychologie ist daher die Wissenschaft des gelingenden Lebens“ (s. auch Positive Psychologie: Grundlagen, Geschichte, Elemente, Zukunft). Doch dabei werden die Schwächen keinesfalls ignoriert, auch wenn sie nicht so zentral im Fokus stehen.  

Schwächen und Positive Psychologie – drei Themenfelder

Zwar stellen Schwächen zahlenmäßig nicht den Forschungsschwerpunkt der Positiven Psychologie dar, dennoch lassen sich drei Themenfelder im Kontext „Positive Psychologie und Schwächen“ skizzieren:

  1. Akzeptanz und Selbstmitgefühl
  2. Stärkenbasiertes Coaching und Entwicklung
  3. Einfluss des Wachstumsdenkens

Akzeptanz und Selbstmitgefühl im Kontext der Positiven Psychologie

Eine der zentralen Ideen der positiven Psychologie im Umgang mit Schwächen ist deren Akzeptanz. Forschungsergebnisse zeigen, dass das Akzeptieren von Schwächen und das Entwickeln von Selbstmitgefühl zu einem besseren psychischen Wohlbefinden führen können. Eine Studie von Neff und Germer (2013) untersuchte die Auswirkungen von Selbstmitgefühl auf die psychische Gesundheit. Die Ergebnisse zeigen, dass Personen, die sich selbst mitfühlend gegenüber ihren eigenen Schwächen verhalten, auch weniger Angst, Depression und Stress erleben. D. h., indem ich Akzeptanz und Selbstmitgefühl für meine persönlichen Schwächen entwickle, fällt es mir leichter, mit diesen Schwächen umzugehen.

Für Führungskräfte, die Positive Leadership umsetzen wollen, bedeutet dies, dass sie Akzeptanz und Mitgefühl für die Schwächen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickeln. Damit kann ich dazu beitragen, dass sich eine Arbeitsatmosphäre entwickelt, die es allen Beteiligten ermöglicht, leichtgängiger mit Schwächen umzugehen. Wichtig: Akzeptanz und Mitgefühl für Schwächen am Arbeitsplatz ist nicht gleichbedeutend mit Passivität im Umgang damit! Ganz im Gegenteil; es gilt, die Arbeit so zu gestalten, dass Teammitglieder nicht bevorzugt in ihren Schwächen, sondern in ihren Stärken gefordert werden (https://www.loquenz.de/job-crafting-foerdert-leistung-und-zufriedenheit/)

Stärkenbasiertes Coaching und Entwicklung

Studien in der Positiven Psychologie haben gezeigt, dass stärkenbasiertes Coaching die persönliche Entwicklung fördern kann. Den Fokus auf die Stärken eines Einzelnen zu setzen kann dabei helfen, persönliche Schwächen zu überwinden.

Linley et al. (2009) haben den Einsatz von stärkenbasiertem Coaching im beruflichen Kontext untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die ihre Stärken gezielt einsetzen und weiterentwickeln, eine Verbesserung ihrer Leistung und ihres Wohlbefindens erlebten.

Guter Umgang mit Schwächen

Im Coaching von Führungskräften wie Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern zeichnen sich regelmäßig vier Strategien ab, mit meinen persönlichen Schwächen umzugehen.

    1. Wo kann ich es vermeiden, in meinen Schwächen gefordert zu werden?
      Delegation ist hier das Mittel der Wahl. Eine gute Delegation hat dabei noch den Vorteil, dass jemand anderes die Chance bekommt, anhand der delegierten Aufgabe seine persönlichen Stärken einzusetzen und weiterzuentwickeln. Sozusagen eine Win-win-Situation!
    2. Wie kann ich die Situation durchhalten, obwohl sie mich in meinen Schwächen fordert?
      Je nach Auftretenshäufigkeit kann eine pragmatische Lösung auch darin liegen, einfache Durchhalte- oder Kompensationsstrategien zu entwickeln. Ich denke z. B. an meinen halbjährlichen Termin zur Zahnreinigung. Ich werde ihn sicherlich nie komplett entspannt oder gar als inspirierend wahrnehmen können. Doch reicht es mir aus, diese zweimal im Jahr auftretende Situation mithilfe von Visualisierungstechniken (übrigens aus dem positiven Denken 😉) bewältigen zu können.
    3. Wie kann ich die Schwäche in eine neutrale Ausprägung bekommen?
      Taucht die Handlungssituation, in der ich in meiner Schwäche gefordert werde, zu häufig auf, dass Kompensationsstrategien nicht sinnvoll sind, dann lohnt es sich an dieser Eigenschaft wenigstens so weit zu trainieren, bis ich sie in einen neutralen Bereich bekomme.
      Ich erlebe das im Coaching von Führungskräften häufig beim Thema „Nervosität im Rampenlicht“. Da ich als Führungskraft immer wieder im Rampenlicht stehe, lohnt es sich wenigstens so weit am Thema zu arbeiten, dass mich diese Situation nicht mehr stark auslenkt. Ich brauche mir deswegen noch lange nicht das Ziel vorzunehmen, die/der perfekte Redner/in zu werden.
    4. Wie kann ich meine Stärken nutzen, um mit meinen Schwächen besser umzugehen?
      Da jeder Mensch über Schwächen und Stärken verfügt, liegt das häufigste Mittel im Umgang mit Schwächen sozusagen auf der Hand: Ich nutze meine Stärken, damit ich nicht in meinen Schwächen gefordert bin. Das erfordert manchmal eine andere strategische Herangehensweise an Situationen; doch bin ich ja als Führungskraft in der Lage, dass ich darauf Einfluss nehmen kann. Also warum dann nicht die Art und Weise wählen, bei der ich in meinen Stärken gefordert bin. Und das vielleicht noch Fehlende entsprechend Nr. 1 am besten zu delegieren!
Positive Leadership Arbeitsplatz

Einfluss des Wachstumsdenkens

Dweck (2006) hat die Auswirkungen von Wachstumsdenken (growth-mindset) auf die Leistungsfähigkeit untersucht. Wachstumsdenken bezieht sich auf die Überzeugung, dass Fähigkeiten und Talente entwickelt und verbessert werden können. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Personen mit einem Wachstumsdenken eher bereit waren, sich Herausforderungen zu stellen und aus Fehlern zu lernen. D. h. indem ich meine Schwächen als Möglichkeiten zum Wachsen und Lernen betrachte, kann ich meine Leistung steigern und meine Ziele erreichen.

Positive Leadership fokussiert auf Wachstumsdenken

Gelingt es mir als Führungskraft, eine Arbeitsatmosphäre zu fördern, in der Schwächen und Stärken thematisiert werden, dann kann ich mit meinem Führungsverhalten konsequentes Wachstumsdenken im Team fördern. Durch gezielte Lernerfahrungen anhand konkreter Aufgaben wächst das Zutrauen meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihre Kompetenz, den Einsatz individueller Stärken und in einen produktiven Umgang mit persönlichen Schwächen. Allerdings ist hier nicht die Führungsrhetorik gemeint, die jede Aufgabe als „Challenge“ umtextet, sondern ein Führungsverhalten, indem z. B. durch routinemäßige Reviews das persönliche Wachstum im Fokus steht.

Und ein kleiner Nebeneffekt aus meiner eigenen Führungserfahrung: Es bereichert mich persönlich, gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen, auch meine individuellen Felder zu entdecken, in denen ich mich selbst konsequenter am Growth-Mindset orientieren kann.

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