Virtuelle Räume verdrängen Realität und Privatheit

The Circle Dave Eggers novel cover art - Virtuelle Räume verdrängen Realität und Privatheit

Dave Eggers beschreibt mit seinem Roman „Der Circle“ das Erleben der Mitarbeiterin Mae bei „Circle“ – eine Mischung aus Google, Facebook und Apple… Eggers nimmt in diesem Roman die aktuellen Entwicklungen einer immer weiter ausgebauten Digitalisierung auf und schreibt sie fort, was letztendlich in einem Informationskommunismus endet.

Neben den vielen Vorteilen der Digitalisierung, wie der Verfügbarkeit von Informationen zur Heilung von Krankheiten u.v.m., werden auch die negativen Folgen der fast vollständigen Digitalisierung an der Hauptperson Mae mehr als deutlich. Dies ist das eigentlich faszinierende des Romans, der mich deshalb in der zweiten Hälfte in seinen Bann gezogen hat. Als Beispiele seien genannt:

  • Die zunehmende Vernetzung fördert die Transparenz und dreht die Argumentation um: Es ist nicht mehr zu begründen, warum mehr Transparenz erforderlich sein sollte, sondern vielmehr muss begründet werden, warum ich nicht mehr Transparenz zulasse. Das hat zur Folge, dass die digitalen Räume gegenüber den konkreten Lebensräumen zunehmend dominieren, d. h. ich kann erst ins Bett, wenn ich in den Social Media-Kanälen meine Rankings wieder erreicht habe und die offenen Posts beantwortet habe. Die Vorgesetzte von Mae, Annie, erleidet ein entsprechendes Burnout-Syndrom.
  • Die Option zur digitalen Erreichbarkeit erhöht die Anforderungen an mein Selbstmanagement. Die Verführung der digitalen Präsenz ist groß, der Hebel in Form von Followern ungeheuer und die Erwartung an die ständige Erreichbarkeit hoch. Mae gelingt es nur noch unter verschiedenen Vorwänden, sich dieser Verfügbarkeit zu entziehen.
  • Nicht alles ist digitalisierbar und messbar. Z. B. können Emotionen nur aufgrund ihrer äußeren Kennzeichen (Verhalten) vermutet werden, von außen greifbar sind sie nicht. Entsprechend verändert sich der Kommunikationsstil zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten. Es entsteht eine kalte Dominanz derjenigen Zielvereinbarungen, die sich auf Verhaltensweisen und Follower in den digitalen Räumen beziehen. Emotionen werden fast vollständig ausgeblendet oder nur pro forma erwähnt. Entsprechend intensiv findet der Kontakt zwischen Kalden und Mae statt, da Kalden die Kommunikation gerade in dem emotionalen Bereich mit Mae in Form einer Romanze sucht.
  • Die Transparenz mündet in dem Slogan „Geheimnisse sind illegal“. Damit entsteht die Pflicht zur vollständigen Verfügbarkeit aller Informationen und der vollständigen persönlichen Transparenz.

Ich habe in diesem Roman die Phänomene, die ich in unserer Arbeitswelt beobachte, konsequent weitergedacht vorgefunden. Besonders erschreckend und damit warnend stellt sich für mich der Führungsstil im „Circle“ dar: Sehr sachlich. Es geht darum die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter zu erhalten. Emotionen werden bei Bedarf angesprochen aber nicht unnötig vertieft. Die Führungskraft hat als oberste Priorität, die Produktivität des Mitarbeiters sicherzustellen. Wenn Rückfragen oder Argumentationen des Mitarbeiters die Produktivität stören, dann wird der Mitarbeiter ersetzt. Es entsteht ein technokratisches und verzerrtes Bild von „Führung 4.0“ – für mich eine abschreckende Vorstellung.

Für alle, die sich mit Führung 4.0 beschäftigen, lohnt sich die Lektüre. An Abgrenzung zum Führungsstil im „Circle“ schärft sich das eigene Führungsselbstverständnis!

 

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